Verdi-Tarifabschluss bei der Lufthansa: Reallohnsenkung und Streikverzicht

Nach drei Tagen Verhandlung hinter verschlossenen Türen gaben der Lufthansa-Vorstand und die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi am vergangenen Mittwoch, dem 27. März, ein Tarifergebnis für die Bodenbeschäftigten bekannt. An der Seite von Lufthansa-Arbeitsdirektor Michael Niggemann betonte Verdi-Verhandlungsführer Marvin Reschinsky, er freue sich, „wieder mit der Lufthansa gemeinsam Hand in Hand“ zu arbeiten.

Verdi-Kundgebung vor dem Lufthansa Aviation Center bei Frankfurt, 7. Februar 2024

Der neue Vertrag gilt für rund 20.000 Bodenbeschäftigte der Lufthansa, der Lufthansa Technik, der Lufthansa Cargo und weiterer konzerneigener Betriebe. In fünf Warnstreiks, drei davon ganztägig, hatten sie ihre Unzufriedenheit und Kampfbereitschaft zum Ausdruck gebracht. Eine Urabstimmung über einen unbefristeten Vollstreik wurde durch die Schlichtung unterbrochen. Geht es nach Verdi, sollen die Mitglieder stattdessen bis Mitte April dem neuen Abschluss zustimmen.

Der neue Tarifvertrag zementiert die jahrelange enge Zusammenarbeit zwischen Verdi und dem Konzern. Im Ergebnis bleiben die Löhne immer weiter hinter den Profiten und der Inflation zurück. Der Abschluss garantiert dem Konzern zwei Jahre lang Tariffrieden und Streikverzicht und bindet so den Beschäftigten inmitten anschwellender Klassenkämpfe die Hände. Denn europaweit wächst der Widerstand gegen soziale Ungleichheit und Kriegspolitik, und die Flughäfen sind dabei wichtige Knotenpunkte.

Der Lufthansa-Konzern hat im letzten Jahr Rekordprofite eingefahren. Sein Chef Carsten Spohr schwärmt vom „höchsten jemals in einem Sommer erzielten Umsatz und Gewinn“. Trotzdem erfüllt der von Verdi erzielte Tarifabschluss nicht einmal die an sich schon bescheidene Lohnforderung, für die die Gewerkschaft angeblich kämpfen wollte.

Der Abschluss sieht für das Jahr 2024 rückwirkend ab Januar eine Erhöhung des Monatslohns um durchschnittlich 7 Prozent, mindestens aber 280 Euro vor. Die ursprüngliche Forderung lautete 12,5 Prozent monatlich, mindestens aber 500 Euro mehr Lohn, bei einer Laufzeit von einem Jahr. Nun gibt es diese Erhöhung im Verlauf von zwei Jahren. Die Vertragslaufzeit soll „mindestens 24 Monate“ dauern. Erst am 1. März 2025 wird der Monatslohn um weitere 2 Prozent plus einen Sockel von 150 Euro erhöht.

Damit bleibt die prozentuale Lohnerhöhung hinter der effektiven Teuerung zurück. Zum Ausgleich wurde die Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie in Höhe von 3000 Euro vereinbart. Allerdings sind solche Einmalzahlungen nicht tabellenwirksam, was bedeutet, dass sie sich auf die zukünftigen tariflichen Entgelte nicht auswirken. Die Prämie war ursprünglich gedacht, um die unvorhergesehenen Löcher aus den alten Verträgen zu stopfen.

Diese Löcher sind in der Tat erheblich. Vor vier Jahren, zu Beginn der Corona-Pandemie, hatte die Lufthansa mit Verdi und den anderen Flughafengewerkschaften ein einschneidendes Sparprogramm mit Lohnverzicht und dem Abbau von 30.000 Arbeitsplätzen vereinbart. Wie Verdi-Funktionär Reschinsky während eines Warnstreiks Anfang Februar einräumte, hatte Lufthansa in der Corona-Pandemie vom Personal „Geld geliehen, das sie jetzt nicht zurückzahlen wollen (…) Die Beschäftigten haben heute 10 Prozent weniger in der Tasche als vor drei Jahren.“

Auch die kriegsbedingte Inflation seit Anfang 2022 hat die Flughafenbeschäftigten mit voller Wucht getroffen. Besonders die Lebensmittel- und Energiekosten fallen für Arbeiterinnen und Arbeiter unverhältnismäßig stark ins Gewicht. Die Flughafenbeschäftigten müssen außerdem im Umfeld teurer Metropolen – Frankfurt, München, Hamburg, Berlin – wohnen, wo die Mieten zusehends ins Unbezahlbare steigen.

Laut den Zahlen des Statistischen Bundesamts lagen im Januar 2024 die Nahrungsmittelpreise um 33,3 Prozent über denen von Januar 2020; die Preise für Heizkosten und Benzin sogar um 47,6 Prozent. Insgesamt stieg der Verbraucherpreisindex, der auch andere Ausgaben berücksichtigt, um 17,6 Prozent. Im gleichen Zeitraum sank das allgemeine Reallohnniveau laut der Hans-Böckler-Stiftung um vier Prozent. Inzwischen hat die Regierung die Preisbremse für Energie, die den enormen Anstieg bei Heizkosten und Benzin zuletzt etwas abmilderte, wieder aufgehoben.

Vor diesem Hintergrund entpuppen sich Reschinskys Beteuerungen, mit dem Lufthansa-Abschluss sei ein „historisches“ Ergebnis erreicht worden, als Nebelkerzen. „Wir sind äußerst zufrieden mit diesem Tarifergebnis“, prahlte Reschinsky am 29. März. „Wir haben Beschäftigte, die bis zu 1000 Euro am Ende mehr monatlich in der Tasche haben, also ein voller Erfolg.“ Einige Beschäftigte bekämen durch den Abschluss „bis zu 18 Prozent mehr Lohn“, behauptete der Verdi-Funktionär.

In Wirklichkeit wird den Flughafenarbeiterinnen und –Arbeitern nur ein kleiner Teil dessen zurückbezahlt, was ihnen zuvor weggenommen wurde. Zum Beispiel soll eine Schichtzulage in Höhe von 3,6 Prozent „wiedereingeführt“ werden, sowie ein kleiner Teil des Weihnachtsgeldes, das in der Corona-Zeit abgeschafft wurde. Auch die vielgepriesene Angleichung der Ost-Tarifverträge an das Westniveau zeigt nur, was für niedrige Löhne dort immer noch üblich sind.

Obwohl an den Flughäfen längst wieder Hochbetrieb herrscht, ist der Verzicht, der den Beschäftigten mit Hilfe der Gewerkschaften aufgezwungen wurde, niemals vollständig ausgeglichen worden.

Mit dem neuen Vertrag wird auch die „Arbeitszeitflexibilität bis zu 40 Stunden“ eingeführt – ein Hinweis darauf, dass die Beschäftigten ihre niedrigen Löhne künftig durch Mehrarbeit wettmachen sollen.

Eine ähnliche Regelung hat auch die Lokführer-Gewerkschaft GDL vereinbart: Die angebliche, laut verkündete Arbeitszeitverkürzung auf 35 Stunden in der Woche entpuppt sich bei näherem Hinsehen als das Gegenteil: Angesichts von Reallohnsenkungen bewirkt der nach oben offene Arbeitszeitkorridor längere Arbeitszeiten, um die schlechte Bezahlung wettzumachen.

Wie die WSWS geschrieben hat, unterstützt ein solcher Tarifvertrag „die Regierung dabei, die Kosten von Aufrüstung und Krieg auf die Arbeiterklasse abzuwälzen“. Das trifft auch auf den neuen Abschluss am Flughafen zu.

Bezeichnenderweise kam der Abschluss mit Hilfe der Linkspartei zustande. Als Schlichter diente letzte Woche Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow, zusammen mit Dr. Frank-Jürgen Weise, dem ehemaligen Chef der Bundesarbeitsagentur. Ramelow, selbst ein ehemaliger Verdi-Funktionär, bedankte sich anschließend bei Verdi und der Lufthansa „für drei konstruktive und lösungsorientierte Verhandlungstage, die von Vertrauen und Kompromissbereitschaft geprägt waren“.

Die Linke ist – genau wie Verdi und der DGB insgesamt – voll in die deutsche Wirtschaft und den Kriegskurs der Regierung integriert. Gerade Lufthansa ist dafür ein sprechendes Beispiel. Denn Lufthansa Technik ist unverzichtbarer Partner der Luftwaffe und orientiert sich zunehmend am Bedarf der Bundeswehr. Auf ihrer Firmenwebsite verspricht LH Technik Defense: „Zusammen mit den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr und der Nato-Partner gewährleisten wir höchste Einsatzverfügbarkeit.“ LH Technik werde dafür sorgen, „dass Streitkräfte und Regierungen die Luftfahrzeuge erhalten, die optimal für ihre Missionen und Einsätze angepasst sind“.

Dagegen haben weder die Gewerkschaft noch die Linke etwas einzuwenden. Das Sondervermögen für die Bundeswehr unterstützte der Verdi-Vorsitzende Frank Werneke auf dem letzten Verdi-Kongress im September 2023 ausdrücklich: „Ich bin absolut dafür, jetzt ein Sondervermögen zu schaffen. Das ist notwendig, und 100 Milliarden Euro werden da vermutlich bei weitem nicht reichen.“

Krieg und Aufrüstung sind die Antwort der herrschenden Klasse auf die tiefe Krise des Kapitalismus. Und der Krieg nach außen geht zwangsläufig mit dem inneren Krieg gegen die Arbeiterklasse einher. Die Gewerkschaften stehen dabei uneingeschränkt an der Seite der Regierung und der Konzernchefs und helfen ihnen, die Kosten für die Aufrüstung durch Lohnsenkung, Sozialabbau und verstärkte Ausbeutung wieder einzutreiben.

Allerdings provozieren sie damit den Widerstand der Arbeiterklasse. Parallel zu den Bodenbeschäftigten streikten auch das Flughafen-Sicherheitspersonal, die Lokomotivführer und die Fahrerinnen und Fahrer im öffentlichen Personennahverkehr. Im Lufthansa-Konzern stehen Tarifkämpfe für die Kabine und das Cockpit bevor. In dieser Situation hat der jüngste Abschluss in erster Linie die Funktion, zu verhindern, dass all diese Konflikte in eine gemeinsame Bewegung der Arbeiterklasse gegen Krieg und Sozialabbau münden.

Besonders der rasche Abschluss des Tarifvertrags durch eine Schlichtung hat die deutlich gemacht. Einen unbefristeten Streik wollte Verdi zu keinem Zeitpunkt riskieren. Die Dienstleistungsgewerkschaft hat die Warnstreiks nur genutzt, um „Dampf abzulassen“ und Manövrierraum für ihre enge Zusammenarbeit mit dem Management zu gewinnen.

So hat der Abschluss bei der Lufthansa erneut gezeigt, wie notwendig es ist, unabhängige Aktionskomitees aufzubauen. Darin schließen sich Flughafenbeschäftigte mit und ohne Gewerkschaftsbuch zusammen, um das Diktat des Gewerkschaftsapparats zu durchbrechen, sich mit Kolleginnen und Kollegen in anderen Betrieben und an Flughäfen an anderen Standorten ganz Europas zusammenschließen und den Kampf für ihre Interessen in die eigenen Hände nehmen.

Informiert euch über die Aktionskomitees und meldet euch über das unten stehende Formular!

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